Menschen und Schicksale

Plan von Gevenich mit dem rot markierten Anwesen Dahl
Auszug des Dorfplans von 1897
mit dem rot markierten Anwesen Dahl

Abgesehen von Lutzerath, wo um die Mitte des 19. Jahrhunderts  43 Juden lebten, die seit 1859 auch über einen eigenen Betsaal verfügten, war der jüdische Anteil an der Bevölkerung diesseits der Endert gering.
Noch in der Tradition des Mittelalters, als die Aktivitäten der jüdischen Minderheit auf wenige  den Christen nicht gestattete Tätigkeiten begrenzt war, waren den Juden in unserer Region nach einer kurzen Liberalisierung unter napoleonischer Herrschaft  beruflich enge Grenzen gesetzt. Nach preußischem Recht, das seit der Ausdehnung Preußens auf dem Wiener Kongress von 1815 bis zur Nahe auch bei uns galt, mussten Juden links des Rheins Jahr für Jahr Moralitätszeugnisse vorlegen, sog. Patente, Unbedenklichkeitsbescheinigungen der Gemeinde, die jederzeit widerrufen werden konnten. Ein solches Patent aber war die Voraussetzung für die Ausübung eines Gewerbes. In den armen Eifelgemeinden hieß das für die wenigen Juden ein Leben am Existenzminimum als Kleinhändler, Hausierer, v.a. als Viehhändler. Bestenfalls geduldet durften sie seit dem Mittelalter weder Landwirtschaft noch ein “ehrbares” Handwerk betreiben.

Nur wenige wissen, dass es auch in Gevenich eine jüdische Familie gab. Was wissen wir heute noch von der Familie Dahl, die als einzige jüdische Familie für Gevenich bezeugt ist? Welche Spuren hat sie hier hinterlassen?

Als die jüdische Gemeinde Cochem zur Wahl ihrer Repräsentanten 1857 auch die Wahlberechtigten von Lutzerath, Alflen, Büchel, Bertrich, Kennfus und Urschmitt einlud, war unter den Vertretern auch Herr Feist Dahl aus Gevenich, der 1856 bei der Gemeinde ein Patent als Krämer und Wirt beantragt hatte. Wahrscheinlich stammte Herr Feist Dahl aus Urschmitt, wo David Dahl von 1850 bis 1862 ebenfalls als Krämer und Wirt gemeldet war. Von den 288 Einwohnern waren damals 4 jüdischen Glaubens. Bedenken gegen die Familie Dahl gab es nicht, so dass das Patent immer wieder erneuert wurde und sie  ab 1856 regelmäßig in der Steuerliste der Bürgermeisterei Lutzerath auftauchte. Die Aktivitäten waren eine Bereicherung für den kleinen Ort, und die Familie Dahl, die bis 1895 auf 7 Mitglieder anwuchs, war allgemein angesehen.

1861 wurde Sohn Isaak in Gevenich geboren. Er wurde Viehhändler und heiratete Emma Fernich aus Klotten. Die 4 Kinder der jungen Familie kamen alle in Gevenich zur Welt. Tochter Johanna, geb. 1890, folgten bis 1901 die 3 Söhne Siegmund, Felix und Louis.

Die bekannte Aufnahme der Gevenicher Dorfmitte vor 1900 mit dem Wirtschafts- und Wohnhaus Dahl rechts

Die bekannte Aufnahme der Gevenicher
Dorfmitte vor 1900 mit dem Wirtschafts- und
Wohnhaus Dahl rechts.

Detail des Fotos. Das Anwesen Dahl , teilweise mit Strohdach.

Detail des Fotos. Das Anwesen Dahl , teilweise mit Strohdach.

Die Dahls gehörten so selbstverständlich dazu, dass Gevenicher Mädchen wie meine Großmutter, Susanne Hammes, bei Frau Dahl kochen lernten und sich ihre Vorliebe für Knoblauch zu eigen machten. Ein Satz, der in Gevenich noch längere Zeit geläufig war, griff diese Vorliebe von Frau Dahl auf und drückte trotz allen Miteinanders auch eine gewisse Distanz aus: "Jud, Jud, no Knoweling roch." Gravierender aber war, dass  ein Teil der Gevenicher Junggesellen,die selbst kaum über Geld verfügten,   die Gutmütigkeit von Herrn Dahl oft über die Maßen ausgenutzt haben. Sie brachten - so die mündliche Überlieferung - ihren eigenen Schnaps mit, bedienten sich selbst und sollen auch nicht immer bezahlt haben. Und wenn sie wieder einmal über die Stränge schlugen, soll Herr Dahl aus Angst auf den Speicher geflüchtet sein.  So zog die Familie nach der Geburt ihres jüngsten Sohnes 1901 nach Cochem, nachdem sie ihr Anwesen an Herrn Jakob Arenz aus Moselkern verkauft und einen Teil ihres gediegenen Hausrats versteigert hatte.
Unter den versteigerten Gegenständen war ein Schrank, der bis heute existiert und in Ehren gehalten wird. 1901 wurde er in der Dahlschen Wirtschaft von Herrn Mindermann aus dem Mühlenweg  gesteigert, und als Herr Mindermann 1936 sein Haus an die Eheleute Welter, die Eltern von Johanna (Welter/Linden) und Klara (Welter/Tibo) verkaufte, verkaufte er auch den Schrank aus dem Hause Dahl anderweitig weiter. Dieser Schrank weist nun eine Besonderheit auf, die für einen jüdischen Haushalt typisch ist und deshalb hier angesprochen werden soll.

Nach den jüdischen Speisegesetzen ist nicht nur genau fest gelegt, welche Lebensmittel (nicht) gegessen werden dürfen, sie regeln auch bis ins Detail ihre Zubereitung. Für die koschere Küche ist der Satz aus den Büchern Moses “du sollst das Böcklein nicht in der Milch seiner Mutter bereiten” richtungsweisend. Jüdische Gelehrte deuten ihn so, dass das Fleisch von Warmblütern nicht mit Milchprodukten wie Käse oder Butter zusammen aufbewahrt und zubereitet werden dürfen. Durch die durchgehend senkrechte Schubladenreihe in der Mitte garantiert dieser Schrank diese geforderte strikte Trennung von Milch- und Fleischprodukten.

Zu diesem Unterschrank gehört noch ein Vitrinenaufsatz
Zu diesem Unterschrank gehört noch ein Vitrinenaufsatz.
1936 von Familie Welter erworbenes Wohnhaus mit Stall und Scheune im Mühlenweg nach 1954
1936 von Familie Welter erworbenes Wohnhaus mit Stall und Scheune im Mühlenweg nach 1954
 (Foto von Klara Tibo)

Das weitere Schicksal der Familie Dahl wird uns noch einmal beschäftigen.

Wichtige Informationen auch zur Familie Dahl finden sich in der empfehlenswerten Arbeit von Angelika Schleindl "Spuren der Vergangenheit", Briedel 1996.

Mit dem Dank an Leni Jahnen und Adolf Tibo für ergänzende Hinweise verbinde ich die Bitte an alle um eventuelle Korrekturen, Ergänzungen oder Anregungen aller Art.