Aspekte

Noch vor 2 Gerationen sah die Kindheit in Gevenich anders aus als heute. Spielen, Spielzeug, Freizeit waren für unsere Großeltern eher die Ausnahme, vielfach ein Fremdwort. Leben auf dem Dorf bedeutete vor dem 2. Weltkrieg immer, eingebunden sein in die kleinbäuerliche Großfamilie. Jeder war so früh als möglich eingebettet in die Arbeit, in die Bräuche und Feste des ganzen Dorfes. Kindheit als eigene Qualität gab es nicht, Kindsein bedeutete, noch nicht fertig sein fürs Leben. Alles war ein zunehmendes Einüben in das nützliche Leben der eigenen Familie und des Dorfes weg vom unnützen Nichtstun. Am Anfang war es der vielleicht noch spielerische Umgang mit den allgegenwärtigen Geräten des elterlichen Betriebes, hatte aber nur ein Ziel, es möglichst bald den erwachsenen Vorbildern nachzumachen. Es war die einzige, gleich aber auch einzigartige Erfahrungswelt und der wunderbare Abenteuerspielplatz der Kinder, gegen den heute die künstlich eingefriedeten Parzellen unserer landesweit ähnlichen Spielplätze eher einfallslos und wenig motivierend anmuten.

ButterfassButterfassWer 5 Jahre alt war, “durfte” mithelfen, wuchs an den Erfordernissen jeden neuen Tages und gewann - unter der genauen Beobachtung des ganzen Dorfes - mit der lobenden Anerkennung der eigenen Leute schnell an Fähigkeiten und Geschicklichkeit. Kinderarbeit? Ein schillernder Begriff, der heute nur noch negativ besetzt ist/sein darf, aber in einer Zeit, als sich die Ferien noch nach den Bedürfnissen der Feldarbeit richteten und alle gleichermaßen betroffen waren, selbstverständliche Praxis war. Jede neue “Arbeit” bedeutete für die Kinder auch Bewährung und erfüllte mit Stolz auf die eigenen Leistung. Je mehr man am Abend “geschafft” hatte, um so zufriedener waren Kind und Eltern . Schule war da vielfach untergeordnet. An mögliche Spätfolgen für die Kinder dachte niemand, das war kaum bekannt, und wenn, erst einmal eher Nebensache.

Die anfängliche Mithilfe im Haus weitete sich schon bald zur ersten Feldarbeit. Wer 8 Jahre alt war, durfte schon beim “Hei spräde”, beim Ausbreiten der “Jemadde” und beim Garbenbinden erste Handgriffe tun. Die Arbeiten waren genau aufgeteilt, für Langeweile blieb keine Zeit.

Früh aufstehen war eine Selbstverständlichkeit, eine allgemein praktizierte Tugend, schlicht eine Notwendigkeit in einer Zeit, als das Gras noch taufrisch mit Sonnenaufgang gemäht wurde. Mit den Hühnern stand man auf, manche gingen auch mit ihnen ins Bett und sei es, um Kerzen, später Strom  zu sparen.  “Man muss den Tag vor sich haben”, “ im Bett sterben die meisten Leut”, das war alte Lebenserfahrung. Da war vor der Schule noch allerhand zu erledigen.
Mit dem “Anfangholz”, “den Schliwweren”, die am Vortage gemacht waren, wurde angefeuert.  Mit nüchternem Magen ging’s zur Messe, der Stall war noch zu misten, zum “Kaffee” gab es oft in Milch gebrocktes Brot oder auch die geliebten Bratkartoffeln . In wenigen Haushalten stand Malzkaffee auf dem Tisch, meistens Milch; eine andere Schürze umgebunden und, Stallgeruch hin oder her, ab ging’s in die Schule. 
Mittags wartete dann schon ein langer Aufgabenzettel ungeduldig auf die Kinder.

Nicht nur die Jungen wurden zum Holzhacken eingesetzt. Dabei ging es weniger darum, Scheitholz zu spalten, als Berge von Astknüppeln und dünneren Rundhölzern zu hacken, die dann nicht selten vom Hauklotz aus gefährlich in die Runde flogen.
Mädchen wurden schon bald zur rechten Hand für alle Hausarbeiten und damit automatisch auf ihre Lebensrolle vorbereitet. In den meist kinderreichen Familien wuchsen sie schon sehr früh in die Rolle der Ersatzmutter hinein.

Das langwierige Weiterverarbeiten der Milch, das Buttern im Stampffass, das später vom Drehfass abgelöst wurde, war eine wenig geliebte Mädchenarbeit. Die Zentrifuge, die schließlich im Handumdrehen den Rahm von der Magermilch trennte, wurde als großer Segen empfunden.

Beliebt war die Verantwortung für das Kleinvieh und die Versorgung der Tiere. Dazu gehörte es, mit Hilfe eines Eisenhakens jeden Abend einen großen Haufen Heu vom “Heistaal” in der Scheune zu rupfen, den Kinderfüße nach der Heuernte in der Scheune festgetreten hatten. So entstand ein großer lockerer Haufen, der die Futtermenge streckte und aufgelockert für das Vieh auch leichter verdaulich war.

Arbeit gab’s für die kleinen Hände übers ganze Jahr im Überfluss.

Im zeitigen Frühjahr mussten in den meist nassen Wiesen ums Dorf Disteln gestochen werden, die mit  kochendem Wasser überbrüht ins rare Futter gemischt wurden. Nur wenige hatten einen langstieligen Distelstecher zu Hand, ein etwa 10cm langes, 3 cm breites Flacheisen. Meist genügte ein altes Messer.

Maulwurfshügel waren einzuebnen, Steine von den Feldern zu raffen, denn die kleinen Bauernbetriebe bewirtschafteten auch die weniger ertragreichen, steinigen, und damit arbeitsaufwändigeren Äcker. Die “Kullrawe”-Felder mussten “gehäckelt” werden. Jede Pflanze war in zeitraubender, mühseliger Arbeit vom umwachsenden Unkraut per Hand frei zu jäten.


Foto: Archiv Gevenich

Viehhüten und Futter beschaffen war einer der Schwerpunkte der Kinderarbeit. Kinderhände halfen beim “Blättern” der Rummele mit, beim Abschneiden der Blätter vor dem Einmieten der “Kullrawe”. Sie sammelten nach dem 2. Weltkrieg Kartoffelkäfer in Flaschen und legten Hand an, wenn die Kartoffeln im Frühjahr einzeln in die von den Kühen gezogenen langen Furchen gelegt wurden. Ihre flinken Hände halfen dann im Herbst, die frisch ausgehackten Kartoffeln in “Mannen”  zu sortieren, und wenn sich die Kartoffeln beim Ausleeren der Säcke dann vor den viel zu kleinen Kellerlöchern außen häuften, durften sie von innen für Platz sorgen.

Mit wenig guten Gefühlen verbindet sich die nicht ungefährliche Arbeit an der Häckselmaschine. Und war die eine Arbeit getan, winkten viel andere, tagaus, tagein. Ohne die Mithilfe der Kinder ging nichts.

Man lernte durchzuhalten und Prioritäten zu setzen, “erst die Arbeit, dann das Spiel”. Vor allem aber hatte der Sonntag als geheiligter Ruhepol für Mensch und Vieh noch einen heraus gehobenen Stellenwert, einen Wert, der in heutiger Zeit leider zunehmend verloren geht.