Dass die angesprochenen Unstimmigkeiten zwischen Herrn Dahl und der Gevenicher Jugend für den Wegzug mitbestimmend waren, wird durch eine Notiz von Lehrer Wies in der Schulchronik, auf die mich Herr Hermann Eberhard aufmerksam machte, bestätigt: “Im Jahre 1901 im Herbste war Kirmesfeier. Am Freitag vorher hatte der frühere Wirt seine Wirtschaft geschlossen. Darüber erzürnte die Jugend des Dorfes, und in der Kirmesnacht wurde das Haus desselben demoliert. Der Wirt fasste den Entschluss fortzuziehen nach Kochem. Das damals alte Haus verkaufte er dem jetzigen Wirte, der einen Neubau errichten ließ.

Die Familie Dahl in Cochem

In Cochem wohnte Familie Dahl in der Kelberger Straße unweit des neuen Jüdischen Friedhofs und der Synagoge. Die Familie von Isaak Dahl zählte hier zu den besser gestellten und geachteten Juden. Bis 1933 war Isaak Vorsteher der jüdischen Gemeinde. Nach dem Tode von Frau Dahl 1928 kümmerte sich Tochter Johanna , die am 18. Juli 1890 in Gevenich geboren war, um ihren alten Vater sowie einen jungen 1924 geborenen Neffen aus Luxemburg.
Die organisierten Schikanen der Nazis trafen auch die Dahls. Sie wurden zunehmend gemieden und nach den Nürnberger Rassegesetzen von 1935 isoliert. Sie hatten keinerlei Einkünfte mehr, lebten von der eigenen Substanz und von Almosen, die noch verbliebene Freunde und bekannte Familien an einer bestimmten Adresse für sie hinterlegten. Wie alle Cochemer Juden durften sie  nur noch das Allernötigste in einem einzigen Geschäft kontrolliert einkaufen.
Auch nach dem Wegzug 1901 waren  einige Kontakte nach Gevenich  geblieben, die selbst unter den erschwerten Bedingungen der 30er Jahre fort dauerten, aber aus Angst vor Konsequenzen seltener wurden, da selbst der normale Umgang mit Juden unter Strafe stand. Ein wohl gesonnener SA-Mann aus Driesch kannte Parteiinterna aus Cochem und hatte eine eindeutige Warnung nach Gevenich gegeben, dass man weitere Kontakte nicht dulden werde. Nach der Pogromnacht im November 1938, in der Synagoge und Schule zerstört worden waren, wurde die Situation auch in Cochem  bedrohlich. Eines Tages wurde Frau A. H. aus Gevenich im Vorbeigehen heimlich von Johanna Dahl angesprochen, sie und ihr Vater hätten nichts mehr anzuziehen, ob sie nicht für sie etwas nähen könnte. In aller Heimlichkeit und stetiger Angst nähte Frau A.H. in den folgenden Tagen im Hause Dahl, ein Erlebnis, das sie selbst als unheimlich bezeichnete und das sie zeitlebens prägte. Am letzten Tag drückte ihr Johanna Dahl als Dank und zur Erinnerung ein Goldmedaillon in die Hand, das sie zur Erinnerung an diese Tage über Jahrzehnte in stillem Gedenken trug.

Fein gearbeitetes Goldmedaillon aus dem persönlichen Eigentum von Johanna Dahl Fein gearbeitetes Goldmedaillon aus dem persönlichen Eigentum von Johanna Dahl
Fein gearbeitetes Goldmedaillon aus dem persönlichen Eigentum von Johanna Dahl

Wie andere Juden musste Johanna mit ihrem Vater das elterliche Haus verlassen und wurde in das “Judenhaus”, das Haus der Familie Hein in der Bernstraße, eingewiesen, von wo sie 1942 nach Polen deportiert und ermordet wurden. Felix Dahl wurde 1944 in Frankreich verhaftet und mit seiner Frau in Ausschwitz umgebracht, wohin bereits 1942 Siegmund Dahl deportiert worden war. Nur Louis Dahl konnte nach Israel emigrieren.

Haus der Familie Hein in der Bernstraße* Gedenktafeln an die jüdischen Familien in Cochem
Haus der Familie Hein
in der Bernstraße*
Gedenktafeln an die jüdischen
Familien in Cochem
* nach Angelika Schleindl, a.a.O.,S. 204

Im Gedenken an das unsagbare Leid ihrer jüdischen Mitbürger hat die Stadt Cochem am Beginn der Bernstraße zur Kath. Kirche hin 1998 2 Gedenktafeln angebracht, auf dem alle jüdischen Familien der Stadt namentlich erwähnt werden.

Die jüdische Familie Dahl ist auch Teil der Geschichte von Gevenich. Sie lebten mit uns, konnten aber wie die meisten Dorfbewohner hier keine Reichtümer sammeln. Man war aufeinander angewiesen und kam sich trotz mancher Vorurteile auch menschlich näher.
Eine Spur jüdischen Lebens, die bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts in Gevenich sichtbar und gegenwärtig war, soll nicht unerwähnt bleiben, dat Juddepeedchje, das vom Hunstang aus quer durch die Felder und die Gewann “im Seifen” im unteren Mühlenweg mündete, eine Abkürzung auf dem Weg nach Cochem, die wie das historische Paafelpeedchje nach Alflen weit in die Geschichte zurück reicht und nicht nur von jüdischen Hausierern und Händlern rege benutzt wurde.
Eine Reihe von Worten und Redewengungen aus der Lebenswelt der jüdischen Mitbürger hat unseren Dialekt bereichert und war bis vor nicht allzu langer Zeit noch allgemein verständlich wie mia es et joa net kooscha = mir ist es richtig mulmig zumute oder dat es net janz kooscha = das ist nicht ganz astrein.

Vor 100 Jahren trat Pastor Adolf Ley seine erste Pfarrstelle in Gevenich an, wo er vor 60 Jahren, am 10. August 1947, starb. Die Erinnerung an einen außergewöhnlichen  Menschen, dessen langjähriges Wirken ein Segen für die Gemeinde war, wird uns in der nächsten Folge beschäftigen.