Hausierer- und Wandergewerbe in Gevenich

Früher war alles - fast alles - anders. Stimmt! Doch was ist früher? Gehen wir 200 Jahre zurück. Um 1800 hatte Gevenich etwa 160 Einwohner, kaum 30 Herdstellen, die sich im weiten Kranz um Kirche, Kirchhof und Backes legten. Das Unterdorf war erst in Ansätzen vorhanden, mit der Zehntscheune (Thönnes) hörte die Bebauung  auf, das Pfarrhaus wurde erst 1812, die gegenüberliegende Schule nach 1842 auf eine freie Wiese gebaut. In der Bachgass’ standen nur wenige Gebäude. “Häre-Haus”(Goergen) und Lenzen beherrschten als stattliche Anwesen Oberdorf und Ackerweg. Der Weg zur Gevenicher Mühle führte noch durch freies Gelände und die “Breth” war eine einzige unwirtliche Sumpfwiese.

Sonnenauf- und Untergang bestimmten wie Wind und Wetter seit Jahrhunderten den Arbeitsrhythmus. Die Welt um den Kirchturm war klein. Was man brauchte, stellte man nach Möglichkeit selbst her oder besorgte es hinüber und herüber in der Nachbarschaft. Nichts wurde weg geworfen, Müllprobleme gab es nicht. Die wenigen Räume im kleinen Wohnteil waren kärglich ausgestattet. Bescheidenheit war weniger eine Tugend als ein bitteres Muss. Ansonsten gab es für Schmiede- und Holzarbeiten Handwerker im Dorf. Müller und Schuster verdienten sich zur kleinen Landwirtschaft noch ein bescheidenes Zubrot, das selten mit Geld entlohnt werden konnte.

Einfaches, glasiertes Tongeschirr
Einfaches, glasiertes Tongeschirr

Die  Schüssel wurde über viele Jahre zum Eindicken der Milch benutzt. Sie ist eine Erinnerung an “Jupp Lena”.

Die  Schüssel wurde über viele Jahre zum Eindicken der Milch benutzt. Sie ist eine Erinnerung an “Jupp Lena”.
Aber man brauchte auch Töpfe aller Art und Größe, um Bohnen zu konservieren, Pflaumenmus abzufüllen, Sauerkraut einzustampfen oder die Milch zu verarbeiten. Die Butterfässer waren in der Regel aus Holz. Daneben aber gab es vor allem einfache Irdenware, die weniger hart gebrannt war und innen glasiert wurde, um Flüssigkeiten wie Milch aufzubewahren. Dieses recht zerbrechliche Tongeschirr war gerade in den kinderreichen Familien ein Problem, so dass die stete Nachfrage gesichert war und den Töpfereien an der Mosel in Klotten, Moselkern und (seit der Römerzeit) in Karden laufenden Absatz garantierte, da sie ihre Ware auf dem Cochemer Krammarkt regelmäßig feil boten.  Bessere Ware, die  sich nur wenige Haushalte leisten konnten, wurde seit Generationen aus dem Wittlicher Tal, wie es allgemein hieß, genauer  aus dem Töpferort Speicher in der Südeifel angeboten. (Das umsichtig konzipierte Keramikmuseum  der Fa. Plein, das die Töpfertradition in Speicher seit der Römerzeit anschaulich und umfänglich dokumentiert, ist empfehlenswert). Hier baute sich ein umfassendes, reges Hausierer- und Händlernetz auf, das die beliebte Ware mit Pferdewagen, Eselskarren und Hundegespannen in der ganzen Eifel, auch in Gevenich, vertrieb. (Kesselflicker aus Büchel kamen noch nach dem letzten Krieg mit Hundekarren nach Gevenich).  Die nähere Umgebung wurde in der Regel von Kleinhändlern zu Fuß mit der gefüllten Hotte bedient.
Solche Anzeigen waren wie die reale Nutzung als Zugtiere nichts Außergewönliches. (Aus Pitzen, a.a.O., S. 106)
Solche Anzeigen waren wie die reale Nutzung als Zugtiere nichts Außergewönliches. (Aus Pitzen, a.a.O., S. 106)
Frechener Ölkrüge in allen Größen. Die meisten riechen noch heute penetrant nach Steinöl, das in allen Haushalten benutzt wurde.
Frechener Ölkrüge in allen Größen. Die meisten riechen noch heute penetrant nach Steinöl, das in allen Haushalten benutzt wurde.
 
Das Bruchstück zeigt den robusten Scherben des hart gebrannten Steinzeugs.
Das Bruchstück zeigt den robusten Scherben des hart gebrannten Steinzeugs.
Die stilisierten Bartmaskenauflagen am Hals wie die Rosettenauflage am Bauch lassen die Krüge aus der Eifel ins 17. Jahrhundert datieren.
Die stilisierten Bartmaskenauflagen am Hals wie die Rosettenauflage am Bauch lassen die Krüge aus der Eifel ins 17. Jahrhundert datieren.
Der Steinzeugkrug aus dem Zehnthaus in Weiler aber war als Öl- und Essigkrug in verschiedensten Größen in der ganzen Eifel äußerst beliebt. Bis ins 20. Jahrhundert wurde der heimische Essig aus Holzäpfeln hergestellt, die auf der Gemeindekelter im Backes gepresst, worden waren. Wegen ihrer großen Bruchsicherheit fanden diese Krüge aus Frechen bei Köln in verschiedenen Größen weite Verbreitung und gehörten als geschätzter Teil zu den wertvolleren Utensilien in Küche und Keller. Sie wurden auf den Märkten von Mayen und Cochem bis ins erste Drittel des 19. Jahrhunderts angeboten, wurden aber auch gebraucht gehandelt. Auch von Gevenich brach man in aller Herrgottsfrühe zum“Altreicher Markt” nach  Mayen auf. Neben Frechen gehörten auch  Raeren bei Aachen und vor allem Langerwehe  zu den Töpferorten, die die Eifel per Hausierer oder auf langen Leiterwagen flächendeckend versorgten. Steinzeug aus Raeren ist für Gevenich nicht zu belegen. Auch die Vorgängerkrüge aus Frechen, die sog. Bartmannskrüge, lassen sich für Gevenich nicht nachweisen, wohl aber Scherben von spätmittelalterlichen Töpfen um 1500, alles Bruchstücke von Vorratsgefäßen aus Langerwehe, die sich “auf Singert” fanden, ein Gehöft, das der Gevenicher Überlieferung nach im 30-jährigen Krieg niedergebrannt wurde und  zu Beginn der 50er Jahre Willi Arenz zu einem in Gevenich viel besuchten Theaterstück animierte. Ob diese frühen Scherben allerdings wirklich von dem Gehöft auf Singert stammen, ist letztlich nicht nachzuweisen, da das kaputte Geschirr früher ganz allgemein auf dem Mist landete und so in die Felder befördert wurde.
Erst in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts verdrängte das graublaue Steinzeug aus dem Westerwald immer mehr das althergebrachte Geschirr.
Typisches Westerwälder Steinzeug aus dem 19. bzw. Aus der 1. Hälfe des 20. Jahrhunderts.
Typisches Westerwälder Steinzeug aus dem 19. bzw. Aus der 1. Hälfe des 20. Jahrhunderts

Ein großer Bevölkerungszuwachs in ganz Deutschland ließ auch in Gevenich die Bevölkerung bis 1835 auf 305 Einwohner anwachsen  mit der Folge, dass hier wie überall auf den kargen Böden der Mittelgebirge mehr hungrige Münder gestopft werden mussten. Größere Not war die Folge, die zu den unsäglichen Auswanderungswellen um die Mitte des 19. Jahrhundert führten, darunter 75 Bewohner von Gevenich.
Vielerorts aber machte die Not auch erfinderisch wie in Neroth, wo nach 1840 als Zusatz zur weiter geführten Feldarbeit die Drahtflechterei nach Vorbildern aus der Slowakei als Heimarbeit eingeführt wurde. Anfangs setzten die Erzeuger ihre Waren - in erster Linie Mausefallen -noch selbst ab. Es entstand ein ausgedehntes Hausierersystem. Oft kamen sie (auch aus Sicherheitsgründen) zu zweit in die Dörfer. Zunehmend vergrößerte sich das Sortiment: Schaumlöffel, Kuchenplatten, Untersetzer, Reibeisen, Siebe und Seihen ...., Waren, die angesichts des geringen Preises und der Haltbarkeit immer gefragt waren. In Weidekörben oder Rucksäcken wurden die Waren verstaut, im Ort selbst präsentierten die Hausierer sie dann als Wochenvorrat aufgereiht an einem geschulterten Draht. Zweimal im Jahr kamen sie ins Dorf, nach Weihnachten bis zur Frühjahrsbestellung Ende März und nach der Heuernte. Noch bis in die 50er Jahre des vergangenes Jahrhunderts kamen 2 Frauen nach Gevenich, die von Jugend an von Tür zu Tür ihre Drahtwaren angeboten hatten, um dann am Wochenende noch die angefallenen  Arbeiten im Haus zu erledigen. Mittlerweile aber wurde die Ware kaum mehr in Handarbeit gefertigt. Das Unternehmen Pfeil hatte praktisch das Monopol für die Drahtverarbeitung und vermarktete die Erzeugnisse über den Großhandel.

So präsentierten sich die Nerother Hausierer bis zum 2. Weltkrieg. (Aus Schröder a.a.O. , S. 98
So präsentierten sich die Nerother Hausierer bis zum 2. Weltkrieg.
(Aus Schröder a.a.O. , S. 98)
Aus dem Firmenprospekt (aus “Mausefallen - Museum Neroth/Vulkaneifel”, Neroth 1990)Aus dem Firmenprospekt
(aus “Mausefallen - Museum Neroth/Vulkaneifel”, Neroth 1990)

Vom Hunsrück kamen Hausierer, die Getreideholmaße wie halbe Scheffel, Simmer oder noch kleinere Einheiten anboten. In Gevenich konnte ich noch ein stark lädiertes Sester (etwa 4,5l) retten, das jahrelang als Getreidemaß für die Hühner gedient hatte. Die größeren, aus dünnen Eichenbrettern gebogenen und mit Eisenbändern verstärkten Maße hatten in der Regel oben eine eiserne Streichlatte für das “gestrichene Maß” und wurden in dem Hunsrückdorf Buch nicht weit von Kastellaun hergestellt. Aus Kappel kamen Siebmacher, aus Gondershausen Hausierer mit Rechen . Bis in die 50er Jahre wurde mit Stoffen und Strickwaren aus dem Hunsrück gehandelt. Gern gesehen war auch ein Händler aus Solingen, der Sensen in guter Qualität anbot.

Heute sind Haustürgeschäfte ins Zwielicht geraten. Früher war das anders. Man brauchte die Hausierer und wartete auf sie. Sie kamen viel herum und wussten viel zu erzählen. Sie brachten Abwechslung und verstanden es, geschickt auf die jeweilige Situation der Familien einzugehen. Redetalent und Einfallsreichtum halfen beim Verkauf . Vor allem aber hatten sie immer  Zeit, viel Zeit .
Keine heile Welt, aber Teil unserer kleinen Geschichte vor Ort, an die sich bald niemand mehr erinnern wird.

Benutze Unterlagen:
Festzeitung zur 950-Jahrfeier von Gevenich
Hubert Pitzen, Von Wölfen und Hunden in der Eifel, Aachen 2001
Joachim Schröder, Von Kesselflickern, Kalkbrennern und Korbmachern, Bd. I, Aachen 1999
Kommern, Das Museum. Michael Faber , "Sümmer - Ein altes Getreide-Hohlmaß", Kommern 1992
Kleiner Wegbegleiter, Mausefallen - Museum Neroth, Vulkaneifel, Neroth 1990
Handschriftliche Aufzeichnungen von Wilma Schleuß


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