Der Versuch, heute noch Spuren seines Lebens in Gevenich zu suchen, muss lückenhaft und unzulänglich bleiben, kann aber helfen, sich einer Zeit zu nähern, die mit ihm abgebrochen ist. Mit seinem Tod 1955 ist auch ein Abschnitt der Dorfgeschichte endgültig vorbei.

Wie üblich erinnerte das myrthenumkränzte Herz an die Hochzeit von Franz und Katharina 1900 *
Wie üblich erinnerte das myrthenumkränzte Herz an die Hochzeit von Franz und Katharina 1900 *

Die wenigen fundierten Hinweise reichen auch nicht, um seiner Person gerecht zu werden. Zu vielschichtig war sie, liebenswert und doch sehr kantig, stolz und doch nie aufdringlich, immer wieder gesucht, wurde er auf der anderen Seite auch gemieden, einer unter allen und doch anders.

Frenz gehörte in Gevenich zu denen, die nicht auf die Sonnenseite des Lebens geboren waren, denen dieses Leben alles abverlangte. Ohne eigenes Land und Vieh blieb er, wie andere auch, zeitlebens abhängig und ohne Perspektive. Die Sorge ums tägliche Brot war größer noch als anderswo, und das kleine Fachwerkgemäuer im Unterdorf bot mehr Beschränkung als Auskommen, zumal einige Hühner im Drahtverhau unter der Treppe diese Enge teilten.
Ein einziger Wasserhahn ohne eigentlichen Abfluss war seit den 20er Jahren Zeichen eines spärlichen Fortschritts. Im winzigen Flur vor der kleinen Schlafkammer “oben auf der Treppe” hatten die Kinder ihren Platz. Hier stand auch eine gediegene Eichenkiste, Erinnerungsstück an eine Zeit, als sich arme Eifelmädchen mit ihren paar Habseligkeiten auf dem Gesindemarkt in Cochem für ein paar Silbergroschen nach der Schulzeit zu harter Arbeit verdingen mussten, damit zu Hause 1 Esser weniger hungern musste.  Ein ausreichender Holzvorrat im Schuppen draußen sorgte auch im kältesten Winter für eine wohlige Wärme.

Die Aufnahme aus den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts zeigt, dass Dederes- und Pootze Hous noch eine Einheit bilden. Wann die Trennung erfolgte, ist nicht mehr nachvollziehbar. Noch ist das Haus strohgedeckt.
Die Aufnahme aus den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts zeigt, dass Dederes- und Pootze Hous noch eine Einheit bilden. Wann die Trennung erfolgte, ist nicht mehr nachvollziehbar. Noch ist das Haus strohgedeckt.
 (Foto aus Gemeindearchiv)

Pootze Haus kurz vor dem Abriss 1985 * Pootze Haus kurz vor dem Abriss 1985 *
 Pootze Haus kurz vor dem Abriss 1985 *

Bescheidenheit war tägliches Gebot.

Trotz der bescheidenen Umstände ging Frenz aufrecht durchs Leben. Seine ungezwungene, manchmal allerdings auch mürrische Art sind als Teil der Erinnerung im Ort lebendig geblieben wie sein offener Umgang mit Kindern, die seine Herde begleiteten und ihn beim Hüten besuchten, Zeichen einer wohltuenden Unvoreingenommenheit, die ihm gut tat. Sein irdenes Peifchen aus Westerwälder Ton, wie es noch Jahrzehnte später den Weckmännern in den Arm gelegt wurde, war wie im Dorfe üblich, sein steter Begleiter und wurde nach altem Brauch um das Mundstück mit Zwirn umwickelt. Das Interesse und die verständliche Neugier der Kinder war erst befriedigt, wenn die ganz Mutigen einmal “ziehen” durften. Kein Wunder, dass dieser Zug nicht immer folgenlos blieb und bis heute in deutlicher Erinnerung ist. Da Frenz einen starken Bartwuchs hatte und sich üblicherweise nur 1 mal in der Woche rasierte, waren seine Stoppeln entsprechend kratzig, und so trieb seine “Androhung” “ich reib euch jetzt den Bart ein” die Kleinen panisch nach allen Richtungen auseinander, um sich doch wieder sehr bald mutig heran zu wagen. 2 Hütten hatte er sich im weiten Gelände in Jereddere aus Ginster gebaut, und als er später die Hütefläche verkleinerte, blieb eine übrig, die am Ende mit Wellblech abgedeckt wurde. Immer wenn der Ginster trocken war,  machte es einigen großen Spaß, das Ganze abzufackeln. Ärger war vorprogrammiert und die Schimpfkanonade von Frenz soll, so sein Enkel Johann, lautstark und überdeutlich gewesen sein.

Opa Frenz mit Enkel Johann*
Opa Frenz mit Enkel Johann*
Frenz  in “Trappet  Suhr” *
Frenz  in “Trappet  Suhr” *
 

Vom Frühjahr bis Herbst wurden die Sauen bei schönem Wetter am frühen Nachmittag (morgens nie!) ausgetrieben. Samstag und Sonntag waren dem Frenz heilig und Ruhetag. Schlechtes Wetter verhinderte einen Austrieb, weil sich die Schweine im Schlammbad zu wohl gefühlt hätten und abends “mit Dreck und Speck” zurück gekommen wären. Wurde eine Sau zum ersten Mal mitgegeben, war in der Eingewöhnungsphase immer jemand aus der Familie dabei, denn Rangkämpfe untereinander waren durchaus an der Tagesordnung. Keine leichte Aufgabe für Frenz und Terry, der seine Tiere stets umkreiste und allzu wilde Schweine in die Ohren zwackte, nicht in die Hinterbeine, wie es bei einem Schäferhund üblich ist.

Wurden die Schweine bis ins 19. Jahrhundert noch zur Mast in den Wald getrieben, so sollten sie sich jetzt nicht mehr satt fressen. Sie waren satt, sie sollten nur toben und sich “sauwohl” fühlen, artgerechte Haltung eben.

Jereddere
  Jereddere
Fotos von Werner Theobald
20 bis 30 Sauen, keine Seltenheit
20 bis 30 Sauen, keine Seltenheit

Der Lohn fürs Hüten bestand in einem tradierten Maß Getreide pro Jahr und wenn geschlachtet wurde, durfte Frenz je nach Gunst mit einem mehr oder weniger großen Stück Fleisch rechnen,. Wenn im Winter die Schweine im Stall blieben, kam Frenz in die Häuser, um Körbe und Mannen zu binden, und wenn es der schmale Geldbeutel erlaubte, versorgte er sich  bei Arenze Hennes mit einem halben Schoppen einfachen Hefeschnaps‘, eine Gewohnheit, die er mit vielen Gevenichern teilte. (Ein halber Schoppen waren gut 4 Schnäpse, und das für 20 Pfennige.)

Sonntags war die Dorfstraße nachmittags leer. Nur der Frenz ging mit seiner Katharina durch das "menschenleere" Dorf spazieren, niemand sonst ging damals spazieren. Spazierengehen galt als Müßiggang, das war nicht üblich, nicht möglich.

Da war aber noch eine zweite, eine archaische Seite, die sich tief ins allgemeine Bewusstsein eingeprägt hat und die Einstellung mancher Gevenicher zu Frenz zumindest beeinflusste. Er gehörte zu denen, die wie Maria Hammes auch für Weiler überliefert, “ebbes” kannten, die, so die Meinung, mehr konnten als andere. Etwas Geheimnisvolles, Unheimliches rechnete man ihm zu. “Ebbes”, die umschreibende Wortwahl verdeutlicht schon die Scheu der Erzählenden, die Dinge beim richtigen Namen zu nennen. Es ging nicht immer mit rechten Dingen zu, so eine weit verbreitete Meinung. Mitten im 20. Jahrhundert noch prägte neben Glaube auch viel Aberglaube den Alltag. In den Dörfern war das ganze Leben “von der Wiege bis zur Bahre” von Vorschriften und Riten bestimmt. Vielerorts noch sollten/konnten bei bestimmten Krankheiten Segenssprüche, Gebete oder Zeichen Mensch und Tier helfen, Schmerzen lindern oder Wunden heilen, bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts nichts Aussergewöhnliches. In fast allen Orten gab es (meist ältere) Menschen, die sich darauf verstanden wie der “Herrgottskloos” in Büchel, wie Pootze Frenz in Gevenich. Für diese Art der Behandlung wurde in Gevenich allgemein der Begriff Sýmpathie verwandt. Sie ist ganz allgemein der Volksmedizin zuzurechnen und darf zu den ältesten Heilmethoden überhaupt gezählt werden. Geheimnistuerei gehörte dazu, und gerade deshalb vermischte sich in den abergläubischen, nicht wissenden Vorstellungen der einfachen Bevölkerung Vieles miteinander. Danach konnten bestimmte Krankheiten durch Zauberformeln vertrieben aber auch auf andere übertragen werden, denn - so die Meinung vieler - wer heilte, konnte auch anderen Schaden zufügen.

Frenz war ein Naturmensch und kannte sich mit Kräutern und Tieren besser aus als andere. Eines seiner beiden Bücher befasste sich mit Naturheilkunde, vermittelte und illustrierte Wissen über die Anatomie der Tiere, behandelte Krankheiten und Heilmethoden, eine Welt, die vielen verschlossen blieb. Wenn nun eine von den Sauen, die Frenz tagtäglich hütete, sich beim Ferkeln schwer tat, war er die selbstverständliche Anlaufstelle. Seine den Tieren wohl bekannte Stimme und zusätzlich körperlicher Kontakt beruhigten, so dass sie danach meist komplikationslos ferkelten.

Er wurde aber nicht nur gerufen, wenn es Probleme mit den Tieren gab. Die Gevenicher suchten von ihm Hilfe bei verschiedensten Hauterkrankungen, auch bei Warzen, bei Gürtelrose, Flechten und vor allem bei Verbrennungen, um die Schmerzen zu lindern. Für alles gab es (Segens)sprüche, die in einer bestimmten Art angewandt wurden. Sie wurden immer schon geheim gehalten und deshalb im konkreten Fall auch nur unverständlich gemurmelt, die Hand wurde über die betroffene Stelle gehalten und das “Gebet” in der Regel 3 mal wiederholt. Abgeschlossen wurde das Ritual mit der Anrufung  “im Namen Gottes des Vaters, Gottes des Sohnes und Gottes des Heiligen Geistes”. Manchmal wurde auch noch - so bei Warzen oder Brand - darüber geblasen (und noch heute sagt  eine Mutter, wenn sie bei einem kleinen Kind über die Wunde bläst, etwas Beruhigendes, und das Leid ist schon halb geheilt, vom Prinzip her nichts Anderes.)

Der Patient musste mit der Behandlung einverstanden sein “und daran glauben”, wie die alten Leute in Gevenich sagten, und der Glaube versetzt ja bekanntlich Berge. Als Frenz gestorben war, wurden seine beiden Bücher verbrannt.
Die moderne Forschung heute bestätigt die Heilerfolge, ohne sie letztlich ganz zu verstehen. Ein Erklärungsversuch spricht von Suggestionstherapie. Durch Besprechen = suggestive Beeinflussung kann danach über die Psyche das körpereigene Abwehrsystem angeregt werden. Der Betroffene braucht das Besprechen nur zuzulassen, denn  die Beschwerden sind gewöhnlich im Laufe der Zeit durch eine Art Energieblockade entstanden, die jetzt gelöst wird.

* Fotos von Johann Schneider
Die Ausführungen stützen sich auf persönliche Notizen, vor allem auf Informationen von Johann Schneider, Gertrud Schmitz, Leni Jahnen und Alois Franzen sowie auf Maria Hammes, Mit Zöpfen, Schürze, Nagelschuhen und A. Wrede, Rheinische Volkskunde 1922.

Demnächst Einladung zum Mitmachen. Leseproben, 2 handschriftliche Originalauszüge aus Gevenicher Hausbüchern. Was ist gemeint?