Erzähl- und Gesprächskultur um 1920

Schriftliche Informationen über Gevenich und den Alltag der Menschen sind noch zu Beginn des vorigen Jahrhunderts äußerst spärlich und werden erst durch die Schulchronik und die Aufzeichnungen von Pfarrer Ley etwas dichter.
Aussaat und Ernte, Wetter und Mühsal bestimmten wie Geburt und Tod den Lauf der Jahre. Man lebte gottergeben und in der Hoffnung auf ein besseres Jenseits. Was fürs Überleben im Ort wichtig war, erfuhr man in der vertrauten, überschaubaren Welt des Dorfes nicht aus Büchern,  sondern durch eigene Anschauung und in der Tradition der Familie.

Um den Dorfbrunnen fanden sich die Kinder zu unbeschwertem Spiel. Im Hintergrund Konats Mistmauer

Um den Dorfbrunnen fanden sich die Kinder zu unbeschwertem Spiel. Im Hintergrund Konats Mistmauer (Foto: Leni Jahnen)

Stammsitz der Männer unterm Vordach des Backes

Stammsitz der Männer unterm Vordach des Backes

3 Nachbarn aus dem Unterdorf auf der Rentnerbank im Oberdorf

3 Nachbarn aus dem Unterdorf auf der Rentnerbank im Oberdorf (Foto Franziska Jahnen

Was wichtig und interessant war, spielte sich mitten im Dorf ab um Kirche und Backes, Dorfbrunnen und Wirtschaft. Hier liefen die meisten Wege zusammen, und hier traf man sich von klein auf. Bauholz und Baumstämme lagen überall, und so wurden die Balken unter dem Vordach des alten Backes Stammplatz der älteren Männer, die von hier aus alles im Blick hatten, auf ihre Art kommentierten und nach Herzenslust lästern konnten. Erst in den 30er Jahren kam eine Bank an die Stelle der Baumstämme, die sog. Hitlerbank. Nur wenige Schritte weiter auf der anderen Straßenseite fand die Jugend ihren Platz auf  “Konats Mistmauer” , die als echtes Relikt aus alter Zeit in ihrer Grundsubstanz weiter besteht und vieles erzählen könnte.
Wenn es draußen ungemütlich wurde, zog man sich in den Backes zurück, um sich an der Glut der warmen Aschenkaul zu wärmen, und nicht selten stimmte die Jugend die Lieder an, die schon ihre Väter und Großväter an gleicher Stelle gesungen hatten, Wenn im Dorf ein Pferd beschlagen wurde, eine Kuh neue Plätten bekam oder ein neuer Reifen ums Holzrad gezogen wurde, dann fand sich gleich eine Gruppe interessierter Zuschauer ein, um ein paar kurzweilige Stunden um Amboss und Schmiedefeuer zu verbringen.  Trotz aller Enge stand die Schusterstube immer noch für ein paar Neugierige offen, man rückte zusammen, und persönliche (auch erfundene) Erlebnisse machten die Runde. Man war unter sich. Die Hobelmaschine in Eduards Schreinerei war immer wieder ein beliebter Treff auf dem Brehmacker.
Wenn die Tage kürzer wurden, und die Arbeiten draußen weniger drängten, dann trafen sich vor allem ältere Männer des Ortes an langen Abenden häufiger um das wärmende Licht des Herdfeuers, um im spärlichen Schein der flackernden Flamme die kleinen Vorkommnisse im Dorf zu besprechen und immer wieder jenen Geschichten zu lauschen, die ihnen schon längst vertraut waren, die sie aber immer wieder so erzählten, als hätten sie oder einer aus der Familie sie selbst erlebt, Geschichten, die sich seit urdenklichen Zeiten nur durch Weitererzählen tradierten. Von unheimlichen Ereignissen, von Hexerei und Zauber war da die Rede, und da immer auch Kinder im Zimmer waren, bekamen sie besonders große Ohren, wenn etwas für sie nicht bestimmt war, und so prägten sich diese Geschichten, gerade weil sie so unheimlich waren,  besonders ein.

Zeichnung des Sandsteinkreuzes mit ursprünglicher Inschrift um 1950 aus Bistumsarchiv Trier

Zeichnung des Sandsteinkreuzes mit ursprünglicher Inschrift um 1950 aus Bistumsarchiv Trier

 

Zu diesen Geschichten gehört auch die (volksetymologische) Erklärung, wie der Name “Hunstang” entstand. Danach erschien an der Grenze zwischen Gevenich und Weiler Punkt Mitternacht immer ein weißer Hund auf der Höhe, stumm und bedrohlich, der jeden am Weitergehen hinderte. Niemand wagte mehr, sich um Mitternacht oder später zwischen beiden Gemeinden zu bewegen. Erst als  allgemein das Gedenken an die Armen Seelen "Herr, gib den Armen Seelen die ewige Ruhe ... ," üblich wurde, war, so die Überlieferung, der Hund auf einmal verschwunden. Ein rotes Sandsteinkreuz, dessen weicher Stein erfreulicherweise in diesem Jahr (2007) restauriert wurde, steht heute an dieser Stelle. Die ausgeformte Konsole des barocken Prozessionskreuzes lässt vermuten, dass an diesem Flurdenkmal eine Statio abgehalten wurde, bei der der Geistliche vor dem Segen der Gläubigen und der Flur die Monstranz abstellte.

Im Laufe der Zeit änderten sich Einzelheiten auch dieser Geschichte, der Kern aber ist geblieben. So weiß Ewald Jahnen, dass der Bruder seiner Mutter, sein Onkel Zervas, eines Nachts von der Gevenicher Kirmes nach Weiler unterwegs war und am Transformatorenhäuschen ankam, als der weiße Hund erschien und hinter ihm herlief. Wenn der Onkel ängstlich prüfend stehen blieb, erstarrte auch der Hund. So ging es mit Unterbrechungen weiter bis Weiler, und als sein Onkel schweißgebadet in die Küche kam, folge ihm der Hund weiter. Verlegen wollte er ihm etwas zu Fressen geben. Da war der Hund verschwunden.

Ewald erzählt eine 2. Geschichte als ein Ereignis, das sich in der Familie zugetragen hat, eine Geschichte, die je nach dem aus der Sicht des Erzählers umgestaltet werden konnte.
Danach war sein Onkel väterlicherseits mit dem Fuhrwerk auf dem Heimweg nach Schmitt. Er kam gerade den Schafsberg runter, als in der Dämmerung ein Licht erschien. Das Licht kam näher, und die beiden Lummen der Vorderräder sprangen raus, ein Rad lief weg, und das Licht war verschwunden. Als er schließlich noch ganz benommen die Geschichte zu Hause erzählte, witzelte man, er habe in Cochem einen zu viel getrunken. Man glaubte ihm nicht. Deshalb nahm er das nächste Mal seine Schwester mit. Auf dem Heimweg kamen sie zum Schafsberg, und auf einmal war das Licht wieder da. Er konnte gerade noch rufen “das Licht ...” da flogen auch schon die Lummen raus, und ein Rad suchte das Weite. Das Licht war verschwunden.

Alle diese Geschichten sind vielseitig bezeugt und auch allseits geglaubt worden, denn es gibt viele Dinge zwischen Himmel und Erde, von denen wir keine Vorstellungen haben.

In dieser Tradition gibt es noch manche Erzählungen, die nicht aufgezeichnet wurden und deshalb in Vergessenheit gerieten.
Demnächst mehr: DSGG - Der Seel Gott Gnad

Die Ausführungen basieren auf privaten Aufzeichnungen und besonders auf Hinweisen von Ewald Jahnen. Herzlichen Dank.