Gevenich in den 50ernEine seit Jahrzehnten unumkehrbare Flucht aus dem Dorf hin zu zentralen Punkten der Region, ein spektakulärer Rückgang der Geburten auch auf dem Lande, das unaufhaltsame Aus der kleinen und mittleren Bauernbetriebe, die Ausweisung neuer Baugebiet und die damit verbundene Ausbreitung in der Fläche wie die fortschreitende Schließung von Geschäften, die früher die kleinsten Orte versorgten und Stützpunkte lokaler Kommunikation waren, all das hatte und hat dramatische Folgen für die gewachsenen Strukturen unserer Dörfer, die zunehmend ihre Mitte verlieren und veröden. Viel zu wenige Gemeinden haben diese Gefahr rechtzeitig erkannt und ideenreich gegen gesteuert.

Unsere Dörfer waren wie auch Gevenich über die Jahrhunderte langsam gewachsen, hatten mit der Zeit ihre Eigenart ausgeprägt und einen unverwechselbaren Charakter, ihr Gesicht bekommen. Die Häuser und Straßen haben sich dem natürlichen Umfeld, den Möglichkeiten wie Notwendigkeiten angepasst. Die Dorfkirche an der Nahtstelle zwischen Ober- und Unterdorf war (und ist noch immer) der natürliche Kern, um den sich die ältesten Häuser ganz selbstverständlich gruppierten. In enger Tuchfühlung zu ihrer Kirche folgte Generation auf Generation. In guten und noch mehr in schlechten Zeiten verstand man sich im täglichen Miteinander als Schicksalsgemeinschaft, die auch die Toten der Familien umfasste, die im Schatten der Kirche mitten unter den Lebenden ruhten.

Zu diesem Zentrum gehörte auch der Backes, der die Menschen übers Jahr begleitete und zu vielen gemeinsamen Aktivitäten zusammen führte. Hier wurde gebacken und Apfelmost gekeltert, wurden die neuesten Gerüchte gestreut. Bei Wind und Wetter lockte die Wärme des Backofens Jung und Alt. Hier waren die Spinnräder für die langen Winterabende eingelagert. Dielen und Balken bogen sich, wenn die Jugend im Obergeschoss zu schüchternen Tanzversuchen zusammen kam. Hier traf sich die “Gemeinde” bei schlechtem Wetter, um Fronarbeiten zu besprechen und Holz zu versteigern. Fahrendes Volk machte hier kurzzeitig Rast und Kesselflicker boten ihre Dienste an. Über Generationen machten die Kinder hier ihre erste Schreib- und Leseversuche. Was hatte dieser Backes über die Jahre nicht alles erlebt!?

Hier mitten im Dorf war immer Leben. Hier spielte sich das ab, was in Gevenich zählte. Hier verabredeten sich die Kinder, und hier beobachteten die Alten werktags wie sonntags das Treiben auf der Straße. Das Vieh kam zur Tränke, und wer keinen eigenen Brunnen hatte, versorgte sich in der Nähe des Brandweihers.

Und so wundert es nicht, dass diese lebendige Mitte auch immer der gesuchte Hintergrund für viele Fotos war.
Unser Foto ist gerade mal 50 Jahre alt, aber ein wichtiges Dokument. Der traditionsreiche Backes, an dem die Gevenicher so sehr hingen, dass sie lieber auf den gepflasterten Ausbau ihrer Straße im Oberdorf verzichtet hatten, als ihn abzureißen, ist nicht mehr.
Anfang der 50er Jahre musste das historische Kleinod der “neuen Zeit” weichen, eine tiefe, schmerzende Wunde, ein Kahlschlag mitten im Dorf. Das Foto hält die Leere fest. Nur die Älteren erinnern sich noch. Die Wunde ist längst verheilt, Narben aber sind geblieben.

ArenzeIm Hintergrund kommt jetzt das wunderschöne, fast 300 Jahre alte Fachwerk von “Thomasse Hous” zur Geltung mit dem großen Holzplatz, der immer schon bestand, aber vom Backes verdeckt wurde. Nur ein “Schliffje” daneben Arenze alter Stall und Scheune, die längst ausgedient hatten und sich im Ortsbild vom Umfeld als Ruine wenig positiv abhoben. Und so erfolgte schon bald nach der Hochzeit von Leni und Andreas 1953 der Einbau zweier Wohnungen, die über die Jahre hin den Eheleuten Männel, Baumanns Josef, der Familie Litfin, “Thennesse Greth” mit ihren Töchtern und “Pootze Johann” mit Familie Unterkunft boten.

Und die Jungengruppe im Vordergrund? Alfons Theobald (Lescher Alfons), Hermann Adams (Schmitz Hermann) und die beiden Brüder Alfons und Hermann Josef Weinem.

Die Vergrößerung zeigt, dass hohe, genagelte Schuhe und lange, selbstgestrickte Strümpfe Anfang der 50er Jahre noch durchaus üblich waren.

Mit dem Foto verbinden sich nicht wenige persönliche Erfahrungen an gemeinsame Jahre. Unser Spielplatz war sommers wie winters der ganze Ort und die nahe Gemarkung von Gevenich. Es waren trotz aller Entbehrungen der Nachkriegszeit unbeschwerte Jahre. Langeweile gab es nie.

Es bleibt aber auch die schmerzliche Erinnerung, dass A. Theobald und die beiden Brüder Weinem schon vor vielen Jahren viel zu früh aus dem vollen Leben gerissen wurden.