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Fier Kermes jeft jeschlacht

Kirmes war der Höhepunkt im Dorfgeschehen und ließ sich nicht mehr überbieten. Seit 1 Jahr freute sich das ganze Dorf und mit ihm die in den Nachbarorten verstreute große Verwandtschaft auf dieses Wochenende. Kirmes war die Belohnung für 1 Jahr harter Arbeit. Es war Erntedank und wie ein großes Aufatmen, denn danach durften alle die Arbeiten draußen und im Haus geruhsamer angehen.

An Kermes jeft jeschlacht, das war so sicher wie das Amen in der Kirche.

Normalerweise hatten die Bauern 2 Schweine, eins wurde geschlachtet, das andere verkauft, um etwas Bargeld zu bekommen und 2 neue Ferkel zu kaufen. Beide wurden 1 Jahr lang mit allem, was im Haus und Garten an Abfällen angefallen war, von der Bäuerin groß gezogen. Selbst das Spülwasser wurde mit verwertet, und die neuen Kartoffeln und zusätzliches Kornschrot sollten einen letzten Schub bringen, denn Maßstab für die Qualität war die Dicke der Speckschicht, die bei großen Schweinen durchaus 5-10cm betragen konnte und sollte, um für die nächsten Monate Speck, Schmalz und Grieben zu liefern. Allein der Gedanke an mit Grieben  geschmelzte Kartoffeln ließ das Wasser im Mund zusammen laufen.

Kirmes war das Familienfest, die Gelegenheit, auch die in froher Runde noch einmal zu  sehen, die sich das nächste Mal vielleicht erst wieder bei einer Beerdigung begegneten. Gut Essen und Trinken war Ehrensache. Entsprechend aufwändig waren die Vorbereitungen.

Noch 75 Jahre, nachdem der junge Willi Kalmes 1911 aus Metz zur Kirmes nach Gevenich gekommen war, erinnert er sich genau “Onkel und Tante nahmen uns herzlich auf, die Bewirtung war großartig. Zur Kirmes hatten viele Schweine im Ort dran glauben müssen.”

Ein unvergesslicher Anblick, wenn sich die Tage vor Kirmes Dutzende von oft schwergewichtigen Schweinen quer durchs Dorf wie zu einer Parade auf der Leiter an der Schourepoat zum Auskühlen  aufreihten. Es war Hochsaison für die, die sich durch Hausschlachtungen ein Zubrot verdienten und auch noch so manche Speckseite zusätzlich nach Hause nehmen konnten. Jedes Haus schwor auf seinen eigenen Hausmetzger. Hammesse Josef  I und Hammesse Josef II, 2 Generationen, die in Gevenich einen Namen hatten wie später Pootze Ferdinand. Hausschlachter aus den Nachbarorten Büchel und Faid hatten auch bei uns ihre Kundschaft wie Gottfried aus Weiler. Jeder hatte so seinen eigenen Stil und auch seine höchst persönliche Geschmacksnote für Leber- und Blutwurst.

Schlachttag war immer ein Versprechen für ein paar bessere Wochen, es war aber auch immer ein geschäftiger und aufregender Tag. Die Schweine schienen die ungewöhnliche Hektik zu spüren und reagierten anders als sonst. Während sie sonst aus dem Stall stürmten, wenn die Bäuerin die Stalltür zum Misten weit aufgemacht hatte, um in den Hof zu spurten und frei herum zu tollen, war an diesem Tag nichts von alledem zu sehen. Obwohl das Schwein am Schlachttag  morgens nichts zu fressen bekommen hatte, gelang es kaum noch, es mit Fressen in den Hof zu locken. Gutes Zureden half nichts, zumal die Frau, die sich über Monate um Ferkel und Läufer liebevoll gekümmert hatte,  gerade jetzt weitab vom “traurigen Geschehen” beschäftigt war. Wo gutes Zureden nichts half, versuchte man es mit Gewalt. Spätestens, wenn man eine Leine um die Hinterbeine legte, um das Schwein am Weglaufen zu hindern, wusste es Bescheid und stemmte sich mit seinem ganzen Gewicht, Vorderbeine voraus, gegen den Versuch, es in den Hof zu zerren oder zu drücken, se deihe, wie man in Gevenich sagte. Spätestens wenn jemand versuchte, es an den Ohren zu ziehen, war von unwilligem Grunzen nicht mehr die Rede. Die schrillen, durchdringenden Todesangstschreie der armen Kreatur gingen durch Mark und Bein und verhallten irgendwo  im Dorf.

Nur die hochbetagten Gevenicher wissen noch, dass der Hausschlachter bis in die 30er Jahre versuchte, das Tier mit der Breitseite einer Axt so auf der Stirn zu treffen, das es betäubt umfiel. Es kam nicht selten vor, dass der Schlag nicht so saß, nicht so stark ausgeführt wurde wie nötig und das Tier in Todespanik noch weglaufen konnte. Erst mit der allgemeinen Verwendung des Bolzenschussapparates konnte die grausame Prozedur etwas abgemildert werden. Wenn die kugellose Bolzenpatrone vorne mittig auf den Kopf gesetzt wurde, konnte der Bolzen ins Hirn eindringen, und das Tier fiel lautlos um. Jetzt durchtrennte der Metzger mit einem scharfen Messer die Halsschlagader, so dass das Blut in breitem Strom heraus quoll. Wichtig war, dieses Blut aufzufangen. Meist stand dafür eine breite Pfanne bereit, die sehr schnell gefüllt war und umgehend in einen daneben stehend Eimer geleert wurde. Um kein Blut zu vergeuden, wurde beim Umgießen die klaffende Wunde mit der Hand zugedrückt. Sobald der Blutstrom nachließ, kniete sich jemand auf das Tier und versuchte, das nur noch stoßweise abfließende Blut durch Pumpbewegungen mit den Vorderbeinen des toten Tieres zu verstärken, bis schließlich alles Blut aufgefangen war.

Gevenich, Dorfstraße 1, November 1943, ein feuchter, unfreundlicher Herbsttag. Jeder hat sich wetterfest angezogen. Wie üblich ist der Misthaufen nur mit einer eher brüchigen Mauer zur Straße abgegrenzt. Vom Regen stehen noch kleine Pfützen in der gestickten Auffahrt vor der Scheune. Gerade ist das Schwein nach dem Bolzenschuss umgefallen. Gleich wird die Halsschlagader geöffnet. Hammesse Mina steht schon mit der Pfanne bereit, um das Blut aufzufangen. Hammesse Sus hat sich längst in der Küche im hinteren Winkel des Hauses verkrochen, um nichts mit zu bekommen. Vom hohen Alter leicht gekrümmt beobachtet der alte Hammes aufmerksam und doch schon etwas abseits das Geschehen. Im Vordergrund steht die Holzmool bereit.

Damit das noch warme Blut für die Blutwurst am nächsten Tag noch gebraucht werden konnte, war ein Familienmitglied ausersehen, durch ständiges Umrühren und Schlagen mit einem Holz ein Gerinnen zu verhindern. Das Blut wurde gekleppert. Einzelne Schlachter hatten die Vorliebe, von diesem noch  warmen, mit Salz gewürztem Blut an Ort und Stelle eine gute Portion zu trinken.

In der Küche war inzwischen viel heißes Wasser vorbereitet worden, um das Schwein zu waschen und anschließend in der Holzmool (erst später kamen Zinkwannen zum Einsatz) abzubrühen und die Borsten mit einem glockenförmigen Schaber abzukratzen,. Die schwer zugänglichen Stellen wurden abschließend mit einem scharfen Messer nachbearbeitet. Das Tier wurde gewendet, um die andere  Hälfte genau so zu bearbeiten. Nur vom Hörensagen her ist noch bekannt, dass die Borsten ganz früher einmal abgesengt wurden, eine Jahrhunderte alte Praxis, die offensichtlich wegen der brandgefährdeten Strohdächer schon sehr früh abgeschafft wurde. Mit dem Haken am Schaberende wurden dann die Klauen heraus gerissen. Verschiedentlich wurden auch Eisenketten quer durch die Mool gelegt, um durch beständiges Hin- und Herbewegen das Entfernen der Borsten zu unterstützen und das Tier zu wenden.   Schaber

So gesäubert wurde das Schwein nun auf eine Leiter gehievt und die Hinterbeine oben in Holmennnähe mit einem Seil festgezurrt und anschließend mit einem “Hauruck” schräg an die Wand oder die Schourepoat gestellt. Jetzt wurde mit einem großen Messer der Bauch von oben nach unten aufgeschlitzt und die Eingeweide herausgenommen. Die Därme, die als Naturhaut für die Wurst gebraucht wurden, wurden beiseite gelegt und das Gelinge (Herz, Lunge), Leber und  Nieren kamen in eine Schüssel. Oft wurde auch die Blase aufgehoben und diente noch etliche Tage als Ersatzfußball.  Um nicht alles zu verderben/ vergällen, wurde sorgsam darauf geachtet, dass die Galle heil blieb und weggeworfen wurde.

Der nach unten hängende, gespaltene Kopf - die Augen waren ausgestochen und die Ohren bereits abgeschnitten - wurde oft zugebunden, damit sich die überall streunenden und hungrigen Katzen und Hunde nicht darüber her machten. So aufgehängt stand das Schwein nun zur Schau. Das Fleisch sollte kalt und damit fest werden. So ließ es sich leichter weiter verarbeiten. Über Nacht kam es dann ins Haus in sicheren Verwahr, da überall begehrliche Blicke lauerten.
Während der Metzger zu seinem zweiten Opfer eilte, warteten alle auf den Fleischbeschauer, dass er nach der Trichinenschau mit seinem Stempel seine Unbedenklichkeit zur Weiterverarbeitung öffentlich dokumentierte.