November. Die leuchtenden Farben sind aus der Natur gewichen, und das warme Licht der Sonne, das noch vor wenigen Tagen den frostigen Ostwind wohltuend milderte, hat seine Kraft verloren und erhellt kaum mehr das trübe Grau, das sich manchmal übers Dorf legt. Ein dichter Nebelschleier zieht übers Land und nimmt Licht und Weite. Die Tage sind merklich geschrumpft. Es ist einsamer geworden. Wie das Vergehen in der Natur erinnern uns Allerheiligen und vor allem Allerseelen, wie vergänglich und zerbrechlich unser Leben im Grunde ist. Gerade jetzt vermissen wir die Nähe von Menschen, die uns so viele Jahre begleitet haben. Ihr Platz ist leer, spürbar.  In dem uralten Wissen und Hoffen , dass sie weiter um uns sind, fühlen wir ihre Nähe. Wir spüren ihre unsichtbare Hand, die uns weiter leitet.

Gottesacker nannten unsere Vorfahren den Kirchhof mitten im Ort, wenn sie nach dem Gottesdienst die Gräber ihrer Toten zu stillem Gebet aufsuchten, um den Segen der Messe weiter zu geben.Der Gang zum Friedhof auch außerhalb der Feste gehört in Gevenich erfreulicherweise noch immer zur guten Tradition, und die liebevolle Pflege der Gräber wie die vielen Lichter drücken die ungebrochene Verbundenheit mit den Verstorbenen aus.

Wenige Zeugnisse der alten Grabkultur aus dem 19./ Anfang 20. Jahrhundert sind uns erhalten geblieben wie das gusseiserne Grabkreuz, das noch auf dem alten Kirchhof mitten im Dorf stand und bei Auflassung der Gräber auf dem neuen Friedhof am Ortsrand weiter verwendet wurde. Immer standen zwischen den alten Steinen vor allem Holzkreuze aus heimischer Eiche als Hauptschmuck und Glaubensbekenntnis an den Gräbern. Und so stellt(e) der Kirch-, der Friedhof immer ein Stück dörflicher Kultur und Heimat dar. Unsere Grabmäler waren schlicht und einfach gestaltet wie die Menschen, nie überladen, manchmal auch derb und kraftvoll.

Die Steine waren aus der Gegend, meist Basalt, seltener aus (rotem) Sandstein, keine Dutzendware aus dem Katalog.  Als Wilhelm Müller (Pläak Wilhelm) seine markige Handschrift in die schlichten Kreuzbalken eingrub, bekamen sie ein Gesicht und wurden zu einem persönlichen Glaubensbekenntnis des Schnitzers wie der Angehörigen. Die wenigen, die vielleicht noch in einem einsamen Winkel erhalten blieben, drücken mit den tief eingeschnittenen Lettern und den kraftvoll heraus gearbeiteten Symbolen in besonderer Dichte und Eindringlichkeit Leiden und Hoffnung aus.

In dieser Tradition stellt auch das schlichte Kreuz unserer Friedhofskapelle eine Kontinuität und Verbundenheit mit der Tradition her, die gut tut. Es ist schlicht, gestaltet den Raum  und begleitet als Zeichen der Erlösung stellvertretend die aufgebahrten Toten, bis sie in den heimischen Lehmschiefer eingebettet werden.
Die Balken dieses Kreuzes waren, bevor sie Heilszeichen wurden, in unserem Wald heran gewachsen und haben dann Generationen lang im Dorf ein Dach mit getragen, unter dem reiche und magere Ernte eingefahren wurde. Sie waren und sind stumme Zeugen unserer Gemeinde. Kein Korpus hängt am Kreuzesbalken, und doch recken sich die Seitenarme wie zum Hilferuf, wie ein Gebet,  nach oben. Der Tod ist überwunden. Keine Dornenkrone, eine Königskrone schließt das Kreuz als Zeichen des Sieges ab, wie es ein Wilhelm Müller und in seiner Verpflichtung und Nachfolge sein Sohn Rudolf Müller später immer wieder ausdrückten, indem sie Christus als König am Kreuz darstellten. Ein starkes, ein tröstendes Zeichen im Grau und Dunkel eines endenden Jahres.