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Be lang nach

Es wird nur gesprochen und steht in keinem Buch. Man lernt es als Kind und durch jahrelange Praxis in der Familie und unter Freunden. Wer es schreiben will, findet keine Regeln und nur wenige, die es entziffern und lesen wollen/können. Viele schämen sich, es außerhalb der Gemarkungsgrenze überhaupt in den Mund zu nehmen. Den meisten gilt es längst als unfein, altmodisch und überholt.


 

 
Wie seine Vorgänger Kalt und Bersch hatte Lehrer Löscherbach (seit 1924) seine liebe Not, den 90 Gevenicher Schulkindern Grundkenntnisse des Hochdeutschen beizubringen. Selbst nach dem 2. Weltkrieg war für viele Schüler Hochdeutsch die erste Fremdsprache Fotos: Alfons Schneider und Werner Theobald

Jewenier Platt ist uralt, so alt wie das Dorf und seine Menschen. Es existierte bereits Jahrhunderte, bevor sich ein sächsischer Dialekt infolge der Reformation und der Erfindung des Buchdrucks in ganz Deutschland durchsetzte und nach vielen Wandlungen allgemein gültig wurde.

Es ist unverwechselbar, schlicht und schnörkellos wie die Landschaft und seine Menschen. Es nennt die Dinge beim Namen, ist oft kurz angebunden, manchmal derb, nie einschmeichelnd und immer praktisch, alltagstauglich eben. Es ist/war Ausdruck einer eigenen Welt, die seit 1200 Jahren gewachsen ist und sich seit 2 Generationen radikal verändert. Mit diesem Wandel änderten sich auch die Sprachbedürfnisse und schwindet der Gebrauch des Dialekts.

Und doch spiegelt sich nirgends der Alltag mit seinen Erfahrungen so plastisch wie in den Dialekten unserer Dörfer, die sich trotz aller Nähe zur Nachbargemeinde ihre sprachliche Eigenart bis heute bewahrt haben. Ein Körnchen Verbitterung schwingt schon mit, wenn unsere Vorfahren nach einem mühevollen Leben im Alter resigniert feststellten “wemma mänt, ma wär ous da Nuut, da kitt dä Duut”. Die täglichen Erfahrungen lieferten die Bilder für das, was sie als Lebensweisheit mitteilen wollten. “Blooß äß jänt en häße Baakowe”. Man spürt die Erleichterung “wemma nach äß dee Kiehr krecht hat”, und so mancher musste bitter erfahren, “dat en Frou met da Schierz mieh fott tron kann, be de Maan met em Wohn häm brengt” . Wenn es bei der Beschreibung einer Person .hieß “Dä es nach dem Deiwel se schlau”, dann war alles gesagt. Beispiele, die sich (fast) beliebig fortsetzen ließen.

Für jeden Fremden ist der Tonfall unseres Dialektes, ist das Spiel mit den Selbstlauten unverwechselbar. “Wenn de ku kannst, kißte, komm dach”. “Ich kunn.”. Wie banal klingt dagegen das sprachlich kanalisierte Hochdeutsch. “Wenn du kommen kannst, kommst du. Komm doch.” “Ich komme.”

Unser Platt hat seine eigenen grammatikalischen Regeln, die ursprünglich sind und
Wandlungen der Hochsprache einfach ignoriert haben.

Bei uns ist es immer noch:
dee Schloot und nicht der Salat
dee Lump und nicht der Lumpen
dee Baach und nicht der Bach
dat Deppe und nicht der Topf

Jede Sprache, auch unser Platt, hat viele Wurzeln, nimmt im Laufe der Zeit neue Begriffe auf und verliert andere. Das Keltische, Fränkische, Althochdeutsche und Mittelhochdeutsche haben ihre Spuren hinterlassen wie auch die Einflüsse der letzten Jahrhunderte.

Vor wenigen Generationen noch verstanden und gebrauchten unserer Großeltern jeden Tag selbstverständlich Wörter, die unsere und ihre Vorfahren während der 20jährigen französischen Besatzung um 1800 gehört, sich dem Klang nach gemerkt und weiter tradiert hatten. Manche haben sich mittlerweile verloren.

Prisang (frz. prison)war der übliche Begriff für Gefängnis, der sich fest eingeprägt hatte, weil die Besatzung gegenüber Bevölkerung nie zimperlich war.

Dusswitt (frz. tout de suite, sofort) sagte meine Oma, wenn etwas auf der Stelle erledigt werden sollte.

Kujonneere (frz. couillonner) ist heute noch in der Bedeutung von quälen verständlich wie verkamisole (frz. la camisole de force ist heute noch die Zwangsjacke) für verhauen ....

Schäng als Vorname/ Kosename für Johannes (frz. Jean) war auch bei uns nicht außergewöhnlich, und da es in Koblenz als Zentrum französischer Emigranten nach der Revolution von 1789 offensichtlich viele kleine Jeans gab, spricht man heute ganz allgemein von “Kowelenzer Schängelchjer”.

Über Jahrhunderte haben Handwerksburschen, wandernde Händler und fahrendes Volk Begriffe ihrer (oft geheimen) Sondersprachen Jiddisch, Jänisch ..) In unserem Platt hinterlassen, und noch heute verstehen wir, wenn etwas nicht ganz koscher ist, wenn irgendwo gemauschelt wird, wenn jemand Klepp kriegt, jemand einen dicken Reibach gemacht hat oder sich jemand stickum (heimlich still und leise) aus dem Staube macht. Was heute unfair ist, war immer schon richtig schoofel, und wenn etwas Gutes auf dem Tisch steht, dann wird seit eh und je geachelt und gespachtelt.

Ungezählt sind die Begriffe, die für Jewenier Platt typisch sind wie: hint/ ebbes/ eeme/ idrije/ schorje/ loustere, Dolk (Rauch) oder en Klouster ...lässt sich beliebig fortsetzen.

Dialektabende, “Dichter”lesungen im Dialekt haben zur Zeit Hochkonjunktur und finden ein zahlreiches Publikum, dem Dialekt helfen diese Spaßabende auf lange Sicht aber kaum.

Seit 2 Generationen sind unsere Dialekte, kleine wie wertvolle Sprachinseln, nur noch auf dem Rückzug. Immer weniger Kinder lernen sie, und immer weniger werden sie weiter geben können. In 2 Generationen könnte auch das Gevenicher Platt Geschichte sein. Leider.