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Oos Pinneschoh

Mit den römischen Legionen kamen auch die genagelten Schuhe ins Land, wurden den Bedingungen  und Bedürfnissen der Region und der Bevölkerung angepasst und haben sich seit 2000 Jahren   bewährt.

 
 
Einfache Soldaten trugen die genagelten, 3-lagigen Ledersandalen, wie Funde aus Mainz und (hier) Trier belegen. Experimentalarchäologische Tests haben ergeben, dass die Legionäre damit gut und gerne etwa 1000 km marschieren konnten. Bis zu 80 Nägel waren in die römischen Sandalen geschlagen, während unsere Schuhe etwa 30 bsi 40 Pinnen hatten.

Kein Kleidungsstück hat die Landbevölkerung so lange unverändert begleitet wie der Pinneschoh, der zum Inbegriff  für ihr mühevolles Leben geworden ist. Kein Kleidungsstück war so strapazierfähig und wurde von Groß und Klein, Mann und Frau an allen Werktagen sommers wie winters getragen.

Und als sich die Zeit in den 50-er Jahren radikal änderte, der Umbruch in der Landwirtschaft auch bei uns einsetzte und sich die Lebensumstände “besserten”,  galt der Pinneschoh schon bald als ein Relikt aus einer Zeit, die man schnell vergessen wollte. Der genagelte Schuh war peinlich geworden und erinnerte wie das Platt an Enge und Engstirnigkeit. Man konnte und wollte sich  “Besseres” aus der Fabrik leisten. Der genagelte Schuh verschwand aus dem Alltag. Einst heiß geliebt, aber auch gehasst, gehörte er als Erinnerungsstück an schlechte Zeiten zu den ersten Opfern und ist nur noch in der Erinnerung der Älteren und auf Fotos bis 1950 zu finden.


Detail aus einem Foto von Arnfried Leuschner.

Heute freut sich jedes Heimatmuseum über ein Belegstück, das noch irgendwo aus vergessenem Gerümpel eines Abrissgebäudes auftaucht, denn jeder Schuh zeigt beredte Spuren seines kurzen, intensiven “Lebens”. Aufgesetzte Flicken und Lappen, aufgeplatzte Nähte und gespaltene Kappen dokumentieren wie gebrochene Sohlen, fehlende Stoßeisen oder der klägliche Rest verbliebener Pinnen ihre Zeit besser und nachdrücklicher als viele Worte.
Mit den Pinneschoh aber schwanden unwiederbringlich auch viele Fertigkeiten. Und die Zeit der Dorfschuster, die seit dem Mittelalter in unseren Dörfern unverzichtbar und geachtet waren, war vorbei. Für das Dorf waren sie mehr, viel mehr als der abschätzig belächelte und gering geachtete Flickschuster, denn ein guter Dorfschuster pflasterte nicht nur Löcher zu, sondern beherrschte ein solides Handwerk und versorgte Generationen mit dauerhaftem Schuhwerk, das kaum klein zu kriegen war.
Tibos Pitter, Theise Josef und Dederes Johann, um 3 aus der alten Gevenicher Schuhmacherzunft zu nennen, verstanden ihr Handwerk. Meist waren zwar nur Flicken zu setzen, Kappen aufzunähen, neue Absätze zu nageln oder die Schuhe neu zu besohlen, zu lappen, wie die Gevenicher sagten, aber es waren auch neue Schuhe gefragt. Neue Schuhe für Erwachsene oder ältere Leute waren immer eine besondere Herausforderung, die von einem guten Dorfschuster alles abverlangten. Es waren alles Unikate, für die es keine Leisten gab, die säuberlich aufgereiht in Regalen verstaubten, bündelweise an der Wand hingen oder zu einem Haufen in eine Ecke geschoben waren. Der Schuster stand oft vor der schwierigen Aufgabe, für deformierte (Platt)füße oder von Gicht verzogene Knochen passendes Schuhwerk anzupassen. Nicht selten waren die Zehen/Füße verwachsen, weil sie über Jahre in ererbte, viel zu kleine Schuhe gezwängt worden waren oder Dauerfrost im Winter über Jahre die Zehen und Ballen dauerhaft geschädigt hatte. Selten waren sie ärztlich versorgt worden, weil man nicht wegen jeder “Kleinigkeit” zum Arzt lief (zu welchem auch?) und dafür einfach kein Geld da war. Und so blieben irreparable  Schäden zurück, Entzündungen waren an der Tagesordnung.
 



 
Eisenleisten von Kinderschuhen als genormte Aufsätze auf einem Metallständer, einem sog. Schusterknecht.

Und wenn ein Paar neue Schuhe anstanden, dann brachten viel Bauern das Leder gleich mit, Leder von der eigenen Kuh, die, da sie weder zur Feldarbeit noch für die Milch taugte, altersschwach geschlachtet werden musste. Ihr Fell ließ man dann in Cochem gerben; und auch dieses Leder zeigte seine Spuren, zeigte mit den vielen Narben noch nachträglich den Leidensweg der armen Kreatur auf. Daraus wurde dann das Oberleder für die Schuhe gearbeitet. Das Sohlleder für die Laufsohle musste größeren Belastungen stand halten und wurde aus dickem Ochsenleder gefertigt. Lappleder nannte man bei uns dieses besonders dicke und strapazierfähige Material, mit dem der Schuh besohlt = belappt wurde. (“Zäh wie Lappleder” war deshalb seinerzeit ein allgemein verständlicher Ausdruck). Damit dieses dicke Laufleder auch hielt, wurde es mit ungezählten Holznägeln fest aufgenagelt.

Pinneschoh waren in der Regel knöchelhoch und an der Fußspitze durch ein kleines halbmondförmiges auf die Laufsohle aufgenagelte Eisenplättchen verstärkt, um die Lebensdauer zu erhöhen.

Da Jungen aus Erfahrung weniger pfleglich mit ihren Schuhen umgingen, waren die Stoßeisen an der Schuhspitze und die Eisen am Absatz besonders stark und breit. Und so hatte jeder mit den dicht genagelten Schuhsohlen ein ordentliches Gewicht zu schleppen, so dass die Schuhe mit den ansteigenden Temperaturen ab Mai zunehmend als lästig empfunden wurden und, abgesehen vom Gedanken, die Schuhe zu schonen, gerade dazu herausforderten, barfuß zu laufen.

Es sei nicht unerwähnt, dass die so bewehrten, festen Schuhe in den täglichen Keilereien eingesetzt wurden und am Schienbein manch schmerzhaften blauen Fleck hinterließen.

Von Klein auf trug man die Pinneschoh regelmäßig, bis sich die erste Heilige Kommunion ankündigte. Ihre Bedeutung fürs Leben zeigte sich schon daran, dass es ein Paar neue, ungenagelte Schuhe gab, ein Ereignis, das zeitlebens in Erinnerung blieb. Allerdings soll es vorgekommen sein, dass diese Freude nicht allzu lange anhielt und auch diese Festschuhe schon sehr bald genagelt und mit Stoß- und Absatzeisen “aufgebessert” wurden, um ihre Haltbarkeit zu erhöhen.

Vor 100 Jahren war es durchaus üblich, dass der Schuster nicht nach linkem oder rechtem Fuß unterschied, sondern beide Schuhe über einen Leisten schlug. So konnte jeder beidseitig getragen werden. Bis in die 30-er Jahre des vorigen Jahrhunderts trugen alle Schüler, wie die Klassenaufnahmen zeigen, zu den schweren Schuhen auch noch lange, schwarze  Schafwollstrümpfe. Aber das ist eine weitere Geschichte.

Was im Sommer lästig war, wurde im Winter auf den vereisten Wiesen “beim Bannschlohn” besonders geschätzt, denn die vielen Pinnen garantierten eine besonders lange Schlitterpartie. Weniger angenehm war es dann abends, wenn die durchnässten Lederschuhe am Ofen getrocknet werden mussten. Da Ersatzschuhe fehlten, war es nicht besonders angenehm, am nächsten Morgen die Füße in die harten und manchmal noch recht klammen Schuhe zu zwängen.

Sohle eines beidseitig getragenen, nach 2 Kindergenerationen ausgedienten Kinderschuhs mit abgelaufener Sohle und noch wenigen abgelaufenen Pinnen.

Immer wieder gingen einige Pinnen verloren, die der Vater dann aus seinem eigenen Vorrat ersetzte, um den Schuster zu sparen. Es dauerte dann einige Zeit, bis sich die neuen Pinnen auf das schon abgelaufene Niveau der alten abgenutzt hatten und die Schuhe wieder die alte, gewohnte Bequemlichkeit erreicht hatten.

Das Geräusch der Pinnen auf dem festen Untergrund der Dorfstraße hat sich eingeprägt, und viele Dorfbewohner wurden schon von weitem, bevor man sie sehen konnte, an ihrem energischen, tippelnden oder schleifenden Schritt auf der Dorfstraße erkannt.  Und in der Kirche brauchte man sich nicht mehr umzudrehen, denn man kannte den Schritt der eifrigen Kirchgänger und kannte auch ihren Stammplatz in der dritten oder vierten Bank auf der rechten Seite und wusste gleich Bescheid.


Gevenicher Schüler 1920. Detail aus einem Foto von Anna Thomas.

Wie alte Jacken und Schürzen wurden auch die Schuhe restlos aufgetragen oder an jüngere Geschwister weiter vererbt, und jeder wusste schon sehr bald, wo ihn der Schuh drückte.