„Das Alte Zehnthaus“ Ein Bauernhaus des 19. Jahrhunderts

von Michael Mönch

1. Baugeschichte

Auf einem Katasterplan aus den Beständen des Landeshauptarchivs in Koblenz aus dem Jahre 1824 lässt sich die Bebauung des Ortes Gevenich zu jener Zeit erkennen. Die Bauernhäuser von Gevenich waren, wie im Rheinland üblich, in geschlossener Lage, um die Kirche und dem Backhaus angeordnet. Das Bebauungsgebiet erstreckte sich über die heutige Kirchstraße, Bachgasse und dem Ackerweg und umfasste etwa 45 Gebäude [1]. Die damalige Dorfstraße und heutige Hauptstraße waren erst hauptsächlich oberhalb der Kirche in Richtung Weiler vorhanden. Die Bebauung des Unterdorfes hatte erst in seinen Anfängen begonnen. Eines der zu dieser Zeit bestehenden Wohnhäuser in der Kirchstraße wird heute als „Altes Zehnthaus“ bezeichnet (siehe Abbildung 1). Zum Zeitpunkt der Planerstellung im März des Jahres 1824 durch den Geometer Koster war das Haus im Besitz eines Johann Nikolaus Mindermann. Mindermann wird im Eigentümerverzeichnis des Katasterplanes genannt [1].

Aus dem Pfarrarchiv, hinterlegt im Bistumsarchiv Trier, ist zu erfahren, dass bis zur Erbauung des Pfarrhauses Anfang des 19. Jahrhunderts die Bebauung zum Unterdorf (rechts der Kirche) mit der sogenannten „Zehntscheune“ endete [2]. Ob das behandelte Gebäude ein Teil der alten Zehntscheune war, lässt sich auch nach Sichtung der Unterlagen in den Archiven nicht belegen. Die Nachforschungen im Landesarchiv Koblenz sowie im Bistumsarchiv Trier ergaben hierzu keinen Beweis. Vielmehr anzunehmen ist, dass sich die genannte „Zehntscheune“ in unmittelbarer Nähe zum heutigen „Alten Zehnthaus“ befunden haben muss und es daher zur Bezeichnung des Gebäudes gekommen ist.

Abbildung 1: Ausschnitt Katasterplan von 1824 (Quelle Bild: Landeshauptarchiv Koblenz)

 

Bauernhäuser wurden bis zum 16. Jahrhundert komplett in Holzfachwerkbauweise konstruiert [4]. Aufgrund der geringen Dauerhaftigkeit des Holzes im Schwellenbereich wurde das Fachwerk des Erdgeschosses in späterer Zeit auf einem massiv aufgemauerten Sockel oder komplett in Massivbauweise ausgeführt [4]. Anhand der Bauweise kann die Errichtung des „Alten Zehnthauses“ auf das späte 18. Jahrhundert eingegrenzt werden. Somit ist davon auszugehen, dass die Erbauung des Gebäudes nach dem großen Kirchenbrand des Jahres 1769 im Zuge des Wiederaufbaues des Ortes erfolgt ist.

Ein großer Teil des Nutzgebäudes ist heute nicht mehr erhalten. In den 1960er Jahren wurde der Schweine- und Schafstall sowie der Austritt (Latrine) abgebrochen (siehe Abbildung 1). Auch wenn das Gebäude immer nur ein einfaches Bauernhaus war und baugeschichtlich sicherlich nicht bedeutend ist, so steht das Gebäude für eine längst vergangene Zeit, die mit der Geschichte des Ortes verbunden ist. Solch ein ursprüngliches Bauernhaus findet sich in der Ortslage kein zweites Mal. Große Umbau- und Modernisierungsmaßnahmen wurden im Bereich des Wohngebäudes, mit Ausnahme einer Elektroinstallation und eines Wasserhahnes im Erdgeschoss, nie durchgeführt. Somit ist ein Bauernhaus des 19. Jahrhunderts nahezu unverändert in seiner Raumaufteilung, Charakter und Baustruktur erhalten geblieben. Heute ist das Gebäude in der Kirchstraße 7 aufgenommen in die Denkmalliste Rheinland-Pfalz.

2. Baukonstruktion

Im ehemaligen Deutschen Reich können 27 verschiedene Typen von Bauernhäusern unterschieden werden [4]. Für die Region des Rheinlandes typische Hausform war das fränkische Hofhaus [4]. Bei dem „Alten Zehnthaus“ handelt es sich um ein Quereinhaus. Dies bedeutet, dass hierbei Stallung und Wohnfläche unter einem Dach vereinigt sind „Einhaus“. Die Raumaufteilung der Grundflächen verläuft „quer“ zur Traufseite des Gebäudes.

Wie für die damalige Zeit üblich, wurden zum Bau eines Bauernhauses nur örtlich zur Verfügung stehende Baustoffe verwendet [3]. Im Fall des „Zehnthauses“ war dies der örtliche Schieferton, Eichenholz, Lehm, Weidengeflecht und Stroh. Gründe für die Verwendung dieser Baustoffe lagen hierbei einzig in ihrer Verfügbarkeit vor Ort und nicht in ihrer besonderen Eignung. Das Obergeschoss ist auf der Traufseite zur Hauptstraße verputzt. Auf der gegenüberliegenden Langseite ist das Holzfachwerk sichtig. Die Konstruktion des Holzfachwerkes, insbesondere die für ein fränkisches Hofhaus typische Ausbildung der Gefache, wird hierbei erkennbar. Die Gefache des Obergeschosses sind mit einer Lehmbaukonstruktion verschlossenen. Auf den Hölzern des Fachwerkes sind Positionszeichen, sogenannte Bundzeichen, des Zimmerers zu erkennen (siehe Abbildung 2).


Abbildung 2: Eichenfachwerk Obergeschoss Traufseite Süd-Ost (Quelle Bild: M. Mönch)

Nachfolgend werden die einzelnen Geschosse kurz beschrieben:

Kellergeschoss

Das Gebäude ist nur im Bereich des Wohnhauses unterkellert und gliedert sich in zwei Lagerräume auf. Die Grundmauern sind auf anstehenden Felsgestein gegründet. Der Keller wird von nördlicher und östlicher Richtung von Felsgestein umschlossen. Im Bereich zur Haupt- und Kirchstraße ist ein kräftiges, etwa 70 cm starkes, Kellermauerwerk aus Bruchsteinen des örtlichen Schiefertones vorhanden. Angrenzend an die Kirchstraße befindet sich ein ausgemauerter, noch heute mit klarem Wasser gefüllter Hausbrunnen. Unterhalb des gemauerten Treppenlaufes sitzt ein Trog, fest vermauert, aus rotem Sandstein (siehe Abbildung 3). Die Deckenkonstruktion über dem Kellerraum zur Kirchstraße ist eine Holzbalkendecke aus Eiche. Der Lagerraum zur Hauptstraße ist mit einer Verbundkonstruktion bestehend aus Stahlträger und Mauersteinen, einer sogenannten aus dem frühen 20. Jahrhundert stammenden „Preußischen Kappendecke“, überspannt.

Abbildung 3: Kellergeschoss (Quelle Bild: M. Mönch)

Erdgeschoss

Die Außenmauern des Erdgeschosses sind massiv, in etwa 60 cm Stärke, aus Schieferton gemauert. Als Mauermörtel wurde Lehm verwendet(1). Auf der zur Hauptstraße rückwärtigen (südöstlichen) Gebäudeseite wird das Außenmauerwerk nur durch ein kurzes Stück Eichenfachwerk im Bereich der Geschosstreppe unterbrochen. Die Innenwände bestehen mit Ausnahme der massiv gemauerten Rückwand der Feuerstelle aus Holzfachwerk. Die lichte Raumhöhen betragen in etwa zwei Meter. Wie für ein „fränkischen Hofhauses“ üblich, bildet der Mittelpunkt des Wohnhauses eine offene Küche. Diese offene Feuerstelle im Zentrum des Erdgeschosses war die einzige Heizquelle des Bauernhauses [4]. Im Rauchfang sind bis in die Gegenwart die Aufhängungen für Kochtöpfe und Räucherhaken erhalten geblieben. In der gemauerten Trennwand ist im Bereich zum Kellerabgang ein 40/25 cm großes Warmhaltefach vorhanden (siehe Abbildung 4). Zusätzlich befinden sich im Erdgeschoss noch zwei weitere Wohnstuben, von denen die größere als „Gute Stube“ genutzt wurde. Der kleinere Raum diente in späterer Zeit temporär als Schlafstube(2), in der sich im Außenmauerwerk zur Kirchstraße ein 81/87 cm großer Wandschrank befindet (siehe Abbildung 5). Über eine eingehauste am Antritt viertelgewendelte Wangentreppe aus Holz ist das Obergeschoss über 11 Steigungen erreichbar.

1 Gemäß Befund EDX Analyse des verwendeten Mauermörtels, Hochschule Kaiserslautern 

2 Erinnerungen von Maria Fischer, Befragung Frühjahr 2018


Abbildung 4: Rauchfang Küchenstube (Quelle Bild: M. Mönch)

 

Abbildung 5: Wandschrank Stube Erdgeschoss (Quelle Bild: M. Mönch)

 

Obergeschoss

Das Obergeschoss ist in drei Schlafstuben und einen Vorratsraum aufgeteilt. Die Außen- sowie die Innenwände bestehen aus Holzfachwerk. Der Rauchfang ist ebenfalls von Eichenfachwerk umschlossen. Die lichten Raumhöhen betragen etwa 1,75 m. Im Obergeschoss sind bauzeitliche, aus Eichenbohlen gefertigte, Stubentüren erhalten geblieben (siehe Abbildung 6). Die Deckenkonstruktionen über dem Erd- und Obergeschoss sind Holzbalkenlagen mit Einschub und Lehmauffüllung. Diese Konstruktionen werden mit einem Belag von ca. 5 cm starken und etwa 25 cm breiten Eichenholzdielen abgeschlossen (siehe Abbildung 6). Über eine eingehauste baugleich zum Erdgeschoss hergestellte Wangentreppe aus Holz ist über 10 Steigungen das Dachgeschoss zu erreichen.

Abbildung 6: Schlafstube Obergeschoss (Quelle Bild: M. Mönch)

Dachgeschoss

Die Dachkonstruktion aus Eichenholz ist ein echtes Pfettendach mit liegendem Stuhl [5]. Dies bedeutet, dass der Dachstuhl statisch ohne senkrechte Stützen ausgebildet werden kann [5]. Der hieraus entstehende große freie Dachraum wurde als Fruchtspeicher genutzt. Die Dachsparren liegen hierbei auf den horizontal verlaufenden Pfetten. Auf den Traufseiten verlaufen übereinander angeordnet Fuß-, Mittel- und Firstpfette. Die Pfetten werden durch drei quer verlaufende Binderkonstruktion gestützt. Die Binderkonstruktion besteht aus zwei mit einem Abstand zueinander angeordneten Druckhölzern, die zu beiden Seiten in einer schrägen Stützsäule enden. Im Bereich des Wohnhauses ist die Binderkonstruktion zusätzlich in den Schornstein eingespannt (siehe Abbildung 7).

Die ursprüngliche Dachdeckung des Gebäudes bestand wie für Bauernhäuser üblich aus Stroh. In späterer Zeit wurde das Stroh durch eine Naturschiefereindeckung ersetzt. Im Zuge der Umgestaltungsarbeiten am Gebäude in den 1960er Jahren wurde eine Dachhaut aus Metallblechen aufgebracht.

Abbildung 7: Binder Dachgeschoss (Quelle Bild: M. Mönch)

Gevenich, im Januar 2023
Michael Mönch, M.Eng.

Weiterführende Informationen und Hinweis auf:

Masterarbeit: Bestandsaufnahme des historischen Gebäudes „Altes Zehnthaus“ in Gevenich, Hochschule Kaiserslautern 2018

Quellenangaben:

[1]     Landeshauptarchiv des Landes Rheinland-Pfalz in Koblenz, Katasterplan Gevenich von 1824.
[2]     Bistumsarchiv Trier: Abteilung 1100, 124 (Pfarrarchiv der Kirchengemeinde Gevenich).
[3]     Wieland, Dieter: Bauen und Bewahren auf dem Lande, 3. Auflage (Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz) München 1979.
[4]     Verband deutscher Architekten und Ingenieurverein: Das Bauernhaus im Deutschen Reiche und seinen Grenzgebieten, II. Teil Textband (Verlag Gerhard Küthmann) München / Berlin 1906. Reprint (Weltbild Verlag), Augsburg 1995.
[5]     Krauth, Theodor, Meyer, Franz, Sahles: Das Zimmermannsbuch, 1.Bd.: Text, 2. Auflage (Verlag E. A. Seemann) Leipzig 1895. Edition „libri rari“ Verlag Th. Schäfer, Hannover 1981.